About
Bildquelle: DXR - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https///commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41624392).jpg
Die ‚Krise‘ als Modus und Sujet gesellschaftlicher Kommunikation scheint omnipräsent. Das zyklische Muster, in dem anklagende Bestandsaufnahmen, heftig diskutierte Lösungsvorschläge und schließlich rückblickende (Miss-)Erfolgsbilanzen einander fortwährend ablösen, verleitet denn auch schnell dazu, in jenem Kreislauf selbst den Zweck der Krisenberichterstattung auszumachen – als Motor einer fortwährenden Aufmerksamkeitsökonomie im medialen Wettbewerb. Dabei bezeichnet jenes Muster für sich genommen zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als ein zentrales Prinzip der (Selbst-)Verständigung pluralistischer Demokratien. Doch damit drängt sich sofort eine grundlegende Frage auf: Wie treten die verschiedenen Haltungen zu den Herausforderungen, denen eine Gemeinschaft gegenübersteht, eigentlich in einen demokratischen Austausch?
Folgt man der hier entwickelten Perspektive, wird schnell klar, inwiefern mediale Krisenberichterstattung als akademisches Forschungsfeld weit über den jeweiligen Gegenstand – d.h. die jeweils im Modus der ‚Krise‘ kommunizierte gesellschaftliche Herausforderung – hinaus von Interesse ist. Lässt sich doch jener Modus selbst als ein Diskursfeld begreifen, innerhalb dessen stets verhandelt wird, welche Wahrnehmungen, Gefühle und gedanklichen Schlüsse gemeinschaftlich geteilt werden können. Damit ist jedoch auch zugleich klar, dass eine wissenschaftliche Studie, welche eben jene Dimension der Krisenkommunikation in den Blick nehmen möchte, nicht allein mit dem „was?“ jenes Diskurses befasst sein kann. Versteht man die ‚Krise‘ als Objekt einer grundlegenden Selbstverständigung demokratischer Gesellschaften, stellt sich vielmehr unmittelbar die Frage nach dem „wie?“ des Diskurses. Wie prägt mediale Berichterstattung die Wahrnehmung potentieller Herausforderungen? Wie formieren sich innerhalb dieser Wahrnehmung Haltungen? Und wie werden Haltungen mit potentiellen Strategien der Bewältigung verwoben?
All diese Fragen verweisen auf eine zentrale Dimension der Krisenberichterstattung – jene der Rhetorik. Ist es doch die Rhetorik eines Diskurses, welche nicht nur die argumentative Repräsentation und Kommunikation von Sachverhalten (in der Sprache der Rhetorikforschung: das Logos des Diskurses), sondern auch die appellative, emotionalisierende Präsentation jener Sachverhalte (das Pathos des Diskurses) fassbar macht.
Mit Blick auf die mediale Kommunikation innerhalb moderner Demokratien erweist sich diese Dimension der Rhetorik jedoch immer wieder als überaus schwer greifbar; beschränkt sich hier die Kommunikation doch nicht allein auf das gesprochene Wort, sondern vollzieht sich meist in der multimodalen Verbindung von Bild, Ton und Sprache. Vor diesem Hintergrund erweist sich insbesondere das so zentrale Feld der Kommunikation in audiovisuellen Bildern – ob nun in Form von Film, Fernsehen oder Internet-Stream – als widerständig. Was genau prägt eigentlich die emotionale Haltung eines TV-Berichts? Worin kommt diese überhaupt zum Ausdruck? Wie werden in diesem Zuge Argumentationen – das Logos – und emotionalisierende Inszenierungen – das Pathos – aufeinander bezogen? Kurz: Wie lassen sich emotionalisierende Haltungen audiovisueller Bilder systematisch fassbar und vergleichbar machen?
Die Nachwuchsgruppe „Affektrhetoriken des Audiovisuellen“, innerhalb derer FIlmwissenschaftlerInnen und InformatikerInnen gemeinsam forschen, nimmt hier einen systematischen filmanalytischen Ansatz zum Ausgangspunkt, um das Verhältnis von Argument und emotionalisierenden Inszenierungsstrategien in Spielfilmen, Dokumentarfilmen und TV-Nachrichten vergleichend zu erforschen. Theoretisch zentral ist dabei für uns das Konzept der Affektrhetorik. Dieses versucht, dargestellte Sachverhalte systematisch auf die kompositorischen Muster ihrer Darstellung – und deren affektive, d.h. auf das Empfinden der ZuschauerInnen zielende, Dimension – zu beziehen. Dabei werden Erkenntnisse der Informatik herangezogen, um eine Vielzahl einzelner Filme und Beiträge systematisch zu erschließen und – mit Blick auf ihre Inszenierung – vergleichbar zu machen. Die audiovisuelle Berichterstattung zur globalen Finanzkrise (2007-) dient dabei als ein exemplarisches Feld der Forschung.
Gegenstand unserer Untersuchung ist folglich die audiovisuelle Berichterstattung zur globalen Finanzkrise ab 2007 in Spielfilm, Dokumentarfilm und TV-Nachrichten. Unsere Forschung geht dabei von der These aus, dass selbst noch die journalistischen TV-Berichte kompositorische Muster der Spiel- und Dokumentarfilmbilder aufgreifen, welche direkt auf eine Affizierung von Zuschauerinnen und Zuschauern zielen.
Methodologisch greift das Projekt auf eine filmwissenschaftliche Methode (eMAEX) zurück, welche die affizierende Qualität audiovisueller Bilder über Muster von Rhythmus und Bewegung rekonstruiert. Dies erfordert die Anwendung einer umfangreichen analytischen Routine, u.a. bestehend aus softwaregestützter Video-Annotation, der Erstellung von Grafiken und Visualisierungen, sowie web-basierten Präsentationsformen, welche den Gegenstand direkt einzubinden vermögen. Mit Blick auf umfangreiche Korpusstudien, wie sie das Projekt avisiert, wird es von wesentlicher Bedeutung sein, Potentiale der (semi-) automatisierten Videoanalyse innerhalb der Informatik (bspw. Schnitterkennung) im Hinblick darauf, filmanalytische Deskription zu erleichtern und zu beschleunigen, auszuloten.
Ziel der Nachwuchsgruppe ist es, a) innerhalb der Berichterstattung zur globalen Finanzkrise zentrale Topoi und affektrhetorische Figuren – also wiederkehrende affizierende Inszenierungsmuster – auszumachen, b) darüber den Modus der Krisenberichterstattung in seiner Bedeutung für die Selbstverständigung demokratischer Gesellschaften zu qualifizieren, sowie c) die methodologischen Grundlagen für weitere Forschungen zur affektiven Dimension audiovisueller Berichterstattung zu schaffen.