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Methoden

Aus filmwissenschaftlicher Perspektive geht allen methodologischen Fragen der Videoanalyse zunächst einmal die Herausforderung voran, einen flüchtigen, allein in der Zeit seiner Wahrnehmung existierenden Gegenstand deskriptiv einzuholen. Entsprechend markiert der Anspruch, das filmische Bild in seiner zeitlichen Entfaltung präzise beschreiben zu können und diese Beschreibungen für andere Analysten nachvollziehbar und nutzbar zu machen, eine zentrale methodische und theoretische Herausforderung der Filmwissenschaft, der nicht erst seit Sergej Eisensteins Film-Partituren in den 1940er-Jahren mit verschiedenen Formen der Annotation und Visualisierung begegnet wird.

Visualisierung audiovisueller Dynamiken über vier Einstellungen nach С.М. Эйзенштейн Vertikalmontage (CC0).

Zu diesen grundlegenden Fragen und Herausforderungen von Filmanalyse möchte die Nachwuchsforschergruppe in ihrer methodischen Arbeit einen Beitrag leisten – spezifisch in Hinblick auf größere vergleichende Korpusstudien, die nicht nur einzelne Filme in den Blick nehmen, sondern größere Zusammenhänge untersuchen. In intensiver Zusammenarbeit mit den Computational Sciences soll vor dem Hintergrund neuer Potentiale der (semi-) automatisierten Videoanalyse und dem Einsatz softwaregestützter Video-Annotation ein analytischer Blick auf den umfangreichen Korpus des Projektes gewonnen werden, der einen fließenden Wechsel von close und distant reading ermöglicht: Nach ersten Durchbrüchen in den Digital Humanities auf der Makroebene, einem digital gestützten distant reading von Daten und Visualisierungen, schüren Softwarelösungen zur (semi-)automatisieren Erkennung von z.B. Schnitten, Objekten im Bild oder Kamerabewegungen, die Hoffnung, auch auf der ästhetischen und poetologischen Mikroebene audiovisueller Bilder neue Beschreibungsformen zu erforschen.

Ziel ist über die digital gestützte, empirische Erforschung ästhetischer Muster auf der Mikroebene eine Typologie affektrhetorischer Figuren des Audiovisuellen herauszuarbeiten. Eine solche Typologie würde für die Erforschung medialer Kommunikation in audiovisuellen Bildern einen wesentlichen Meilenstein bedeuten. Ließe sich doch auf dieser Basis zum einen eine vergleichende Perspektive auf die Verbindung einzelner medialer Themen und Topoi mit verschiedenen affektrhetorischen Figuren, d.h. allein in der medienästhetischen Gestaltung hervorgebrachten emotionalen Haltungen, einnehmen; zum anderen könnte auf diese Weise eine – theoretisch wie methodologisch – umfassende filmwissenschaftliche Expertise um die Analyse affektiver Qualitäten audiovisueller Bilder in Form fassbarer, abstrahierter Typen in die Forschung zu audiovisuellen Bildern innerhalb der Medien-, Kommunikations-, Sozial- oder Geschichtswissenschaften eingebracht werden.

Die methodische Erarbeitung von Typologien audiovisueller Krisenberichterstattung und -darstellung auf affektrhetorischer Ebene umfasst dabei mehrere Aspekte:

eMAEX

Die methodische Arbeit des Projekts folgt filmwissenschaftlichen Überlegungen zur empirischen Rekonstruktion audiovisueller Bewegungsbilder und greift zurück auf die  eMAEX-Methode, welche Prozesse der Zuschaueraffizierung über Rhythmus- und Bewegungsprofile systematisch zu beschreiben sucht. In dieser Perspektive werden die basalen Strukturen  der Zuschaueraffizierung als ästhetische Muster der Gestaltung audiovisueller Bewegungen fassbar, anhand derer eine Typologie affektrhetorischer Figuren entwickelt werden soll.

Ontologie

Die Detailanalyse größerer Datenkorpora führt zwangsläufig zur Akkumulation großer Beschreibungsdaten, die ohne maschinelle Unterstützung bei der Auswertung aufgrund Ihres Umfangs kaum zu bewältigen wären. Daher wird auf Grundlage des oben skizzierten methodischen Frameworks eine maschinenlesbare Analysesystematik (Ontologie) entwickelt, die sowohl bei der Verzahnung automatisierter und manueller Analyse, als auch bei der Datenauswertung unerlässlich ist, sowie perspektivisch den Austausch von Annotationen zwischen unterschiedlichen Projekten ermöglichen kann.

Videoannotation

Die manuelle und semi-automatisierte Annotation erfolgt wiederum in der Open-Source-Videonannotationssoftware Advene, die im Rahmen des Projekts angepasst und erweitert werden wird, um den spezifischen Anforderungen der filmwissenschaftlichen Detailanalyse gerecht zu werden und diese direkt mit der entwickelten Ontologie zu verzahnen.